Washington Square by Henry James
Autor:Henry James [James, Henry]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783423084079
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 1998-03-01T23:00:00+00:00
19. KAPITEL
Aus Gründen, die mit diesem Entschluß zusammenhingen, suchte er bald darauf ein kleines Gespräch unter vier Augen mit Mrs. Penniman. Er ließ sie in die Bibliothek kommen und teilte ihr dort mit, er hoffe sehr, sie werde ihm, was diese Affäre Catherines anbelange, kein X für ein U vormachen.
»Ich weiß nicht, was du mit einem solchen Ausdruck meinst«, sagte seine Schwester. »Du sprichst, als würde ich gerade das Alphabet lernen.«
»Das Alphabet des gesunden Menschenverstandes ist etwas, was du niemals lernen wirst«, gestattete sich der Doktor zu entgegnen.
»Hast du mich kommen lassen, um mich zu beleidigen?« fragte Mrs. Penniman.
»Keineswegs. Lediglich um dir einen Rat zu geben. Du hast an dem jungen Townsend Gefallen gefunden; das ist deine eigene Angelegenheit. Ich habe nichts zu tun mit deinen Gefühlen, deinen Phantasien, deinen Neigungen, deinen Verblendungen; aber ich möchte dich darum ersuchen, daß du diese Dinge für dich behältst. Ich habe Catherine meine Ansichten auseinandergesetzt. Sie versteht sie vollkommen, und alles, was sie weiterhin unternimmt, um Mr. Townsends Beachtung zu begünstigen, steht in bewußtem Gegensatz zu meinen Wünschen. Alles, was du tun würdest, um ihr Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen, wäre – gestatte mir den Ausdruck – entschieden verräterisch. Du weißt, Hochverrat ist ein Kapitalverbrechen: nimm dich in acht, daß du nicht die Strafe auf dich lädtst.«
Mrs. Penniman warf den Kopf zurück und sah ihn in einer gewissen Art mit großen Augen an, die sie gelegentlich anwandte. »Ich habe den Eindruck, du sprichst wie ein großer Autokrat.«
»Ich spreche wie der Vater meiner Tochter.«
»Nicht wie der Bruder deiner Schwester«, rief Lavinia.
»Meine liebe Lavinia«, sagte der Doktor, »manchmal frage ich mich, ob ich tatsächlich dein Bruder bin, so ungeheuer verschieden sind wir. Trotz dieser Verschiedenheiten können wir einander jedoch zur Not verstehen; und das ist jetzt die Hauptsache. Geh’, was Mr. Townsend betrifft, den geraden Weg. Das ist alles, was ich verlange. Höchstwahrscheinlich hast du in den letzten drei Wochen mit ihm korrespondiert – ihn vielleicht sogar getroffen. Ich frage dich nicht danach, du brauchst mir nichts zu sagen.« Er hatte die grundsätzliche Überzeugung, sie würde darauf verfallen, ihm bezüglich dieser Angelegenheit etwas vorzuflunkern, was ihm das Zuhören verleiden würde. »Was du auch getan hast, hör’ auf damit. Das ist alles, was ich wünsche.«
»Wünschst du zufällig auch, dein Kind umzubringen?« fragte Mrs. Penniman.
»Im Gegenteil, ich wünsche, daß es am Leben bleibt und glücklich wird.«
»Du wirst sie umbringen: sie hat eine entsetzliche Nacht verbracht.«
»Sie stirbt nicht an einer entsetzlichen Nacht, und auch nicht an einem Dutzend solcher Nächte. Bedenke, daß ich ein renommierter Arzt bin.«
Mrs. Penniman zögerte einen Moment; dann wagte sie, es ihm heimzuzahlen.
»Daß du ein renommierter Arzt bist, hat nicht verhindern können, bereits zwei Angehörige deiner Familie zu verlieren.«
Sie war das Wagnis eingegangen, aber ihr Bruder warf ihr einen derart furchtbar schneidenden Blick zu – einen Blick wie das Skalpell eines Chirurgen –, daß sie vor ihrem Wagemut erschrak. Und er entgegnete ihr mit Worten, die diesem Blick entsprachen: »Es könnte mich auch nicht daran hindern, die Gesellschaft eines weiteren Angehörigen zu verlieren.«
Mrs.
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